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Was ist psychedelische Philosophie?

  • Autorenbild: affenkopf
    affenkopf
  • 6. Mai 2024
  • 7 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 6. Mai 2024

Wie kann eine Philosophie aussehen, die psychedelischen Substanzen und Bewusstseinszuständen gerecht werden will?


Diese Ausgangsfrage stellt wohl den Beginn psychedelischer Philosophie dar. Sie unterscheidet dabei explizit noch nicht zwischen Philosophie als Liebe zur Weisheit im Allgemeinen und als akademischer Disziplin. Psychedelische Substanzen und Bewusstseinszustände erfordern akademisch-philosophische Auseinandersetzung. Es fallen Fragen an, die verschiedene philosophische Disziplinen betreffen; etwa zur Möglichkeit und Validität "psychedelischen Wissens", oder den Möglichkeitsbedingungen therapeutischer Effekte psychedelischer Substanzen, die ihrerseits die Thematisierung ethisch relevanter Fragestellungen und Sachverhalte, etwa in der Medizinethik informed consent, bedingen. Psychedelische Psychotherapie sowie auch das nicht professionelle Tripsitting außerhalb der Klinik birgt ein starkes Machtgefälle. Für einen trennscharfen, also differenzierten und präzisen Blick, müssen verschiedene Disziplinen jeweils andere Teilaspekte rund um Psychedelika in ihren philosophischen Untersuchungen hervorgehoben in den Blick nehmen. Dieser Text umreißt sie.


Psychedelische Erkenntnistheorie

Eine psychedelische Erkenntnistheorie (Epistemologie) bearbeitet etwa die Frage, ob ein psychedelischer Wissenserwerb oder Erkenntnisgewinn möglich ist, und welche Bedingungen an "psychedelisches Wissen" gestellt seien. Von einer "noetischen" Qualität (wissend um etwas) psychedelischer Erfahrungen berichten viele psychedelischen Subjekte. Letheby (2019) plädiert dafür, die Möglichkeit psychedelischen Erkenntnisgewinn ernst zu nehmen. Stellen lässt sich diese Frage auch ex-negativo: Erleben Patient*Innen psychedelisch-unterstützter Therapie lediglich "tröstende Wahnvorstellungen" (Pollan 2019)? Das Projekt PsychedELSI, verbindet verschiedene wissenschaftliche und philosophische Disziplinen sowie Universitäten und wird sich u.A. dieser Art von Fragestellung widmen.

Psychedelische Phänomenologie

Wenn das Ziel der Phänomenologie ist, "Möglichkeitsbedingungen von Sinn, Deuten und Wissen zu untersuchen, also die allgemeinen Strukturen der subjektiven Orientierung der Lebenswelt von Menschen aufzudecken" (Raab et al. 2008: 11, Hervorh. original), so verstrickt sich eine psychedelische Phänomenologie in verschiedene Problemlagen: Wie ließe sich trennscharf "psychedelischer" Sinn überhaupt abgrenzen von "nicht psychedelischem" Sinn? Gleiches müsse für Deuten und Verstehen bedacht werden. Die Präsenz einer externen Substanz, die als psychedelisch gehandhabt wird, erlaubt nur eine oberflächliche Lösung des Problems, wie möglicherweise psychoaktives endogenes DMT zu beweisen imstande wäre, sowie nicht durch Substanz induzierte psychedelische Zustände. Auch mit Verweis auf die Wortherkunft ist "psychedelisch" keinesfalls primär unter physikalischen Eigenschaften zu fassen (wie die An- oder Abwesenheit externer Substanz hervorhebe), sondern rekurriert auf die altgriechischen Worte ψυχή psychḗ‚ Seele‘ und δῆλος dẽlos ‚offenkundig, offenbar‘. Sjösted-Hughes (2023: 9) weist darauf hin, dass die Konzeption "'mind-manifesting' [...], not 'brain-manifesting'" bedeute, dass sie entsprechend auf die Phänomenologie rekurriere, statt der Physiologie.


"Psychedelisch" bezeichnet das Hervortreten der Psyche - oder (bei weitem aufgeladenere Begriffe) die Offenbarung der Seele. Vor dem Hintergrund, Bewusstsein als Bewusstsein-von-etwas zu verstehen, tritt dann in den Vordergrund, dass Bewusstsein selbst - und überhaupt - als Phänomen des Bewusstsein erscheinen kann. Unter dieser (t)autologischen Fassung erweist sich eine "psychedelische" mentale Bewegung als diejenige, einen Inhalt als Inhalt zu erkennen - eine Bewegung von Transparenz zu Opazität (Undurchdringlichkeit). (vgl. zu Transparenz Carruthers 2011, Metzinger 2003)


Psychedelische Empirie - "Das Problem" psychedelischer Wissenschaft?

Wie seien allgemeine Strukturen der subjektiven Orientierung aufzudecken - bereits ein beachtliches Unterfangen -, wenn diese Strukturen sich sogar der Intersubjektivität zu entziehen scheinen, da sie sich exterozeptiv nicht erkenntlich, sondern innerlich vollziehen? Dies könnte als "problem of other psychedelic minds" gefasst werden (Stanford Encyclopedia: Other Minds), womit vorrangig die Schwierigkeit empirischer Erforschung von Interozeption im Rahmen psychedelischer Wissenschaft gemeint sein soll. Einen ersten fruchtbaren Ansatz kann vermutlich die Erforschung der Intentionen des Konsums darstellen: "Having 'clear intentions' for the experience was conducive to mystical-type experiences" (Haijen et al. 2018). Ungeachtet der theoretischen Erfassung und Problematisierung "mystischer Erfahrung", zeichnet sich in ihren Messkonstrukten offenbar eine gewisse therapeutische Relevanz ab (Ko et al. 2022), die psychedelische Psychotherapie vor ethische Probleme stellt; etwa weil sie selbst als ethische Projekte zu verstehen seien (Langlitz, Gearin 2024).


Die Interozeption, dessen Exposition oder Aufdeckung Psychedelika bewirken können, zu dessen vorrangiger Infokusnahme sie verhelfen können, dessen Intensität durch psychedelische Substanzen reliabel gesteigert werden kann (Griffiths et al. 2006), stellt ein gesteigertes empirisches Problem psychedelischer Wissenschaft dar, weil es vorauszusetzen scheint, Subjektivität objektivierbar zu machen. Gesteigert wird diese Problematik insofern, als dass psychedelische Erfahrungen notorisch als schwerlich, kaum bis gänzlich unmöglich kommunizierbar charakterisiert werden. Weil Qualitäten innerer Erfahrungen in jeglichen Äußerungen bereits überformt - kommunikativ vermittelt - erscheinen und auftreten, erscheint dies kaum vielversprechend. Auch die Qualitäten psychedelischer Erfahrung müssen als kulturell, wie sozial (re-) produziert kontextualisiert werden (vgl. etwa Biglan, Hayes 2016, Kincaid 2024).


Doch den Grundannahmen empirischer Sozialforschung folgend (Schnell, Hill, Esser 2016: 46f), die eine äußere Welt mit erkennbaren Regularitäten voraussetzt, in denen sich menschliche Erfahrung vollziehe, lässt sich doch auch ihre mögliche intersubjektive Bewältigung vermuten. Letheby (2020) führt dies aus für Zustände, basierend auf 5-MeO-DMT Erfahrungsberichten; ebenso behandelt Montgomery (2021) die Frage warum Psilocybin-unterstützte Therapie effektiv in der Behandlung von Depressionen sein könnte und bezieht sich auf vorliegende Erfahrungsberichte.


"Psychedelisch-neuronale Korrelate"

Man möge annehmen, in erster Linie würde psychedelische Erfahrung intersubjektiv zugänglich in der Erforschung neuronaler Grundlagen. Doch dies ist streitbar. Vermutlich lässt sich die Erfahrung selbst darin nicht gänzlich erlesen, oder wird im mindesten - und darin liegt die Krux - als Korrektiv notgedrungen die Erfahrung wieder selbst auswählen müssen - rekursiv. Korrelation ist bekanntlich nicht identisch mit Kausalität; warum sollte neuronale Korrelation "neuronale Kausalität" zu erfassen imstande sein?


Beschrieben wird unter physikalischen Gesichtspunkten das Zustandekommen jeglicher "Unendlichkeiten der Erfahrung" (Husserl) in der Gehirnforschung allemal; die jeweiligen Spezifika von Erfahrungen (insbesondere psychedelischen), die sich doch empirisch messbar zeigen können - in vergleichbarer Art wie die Regularitäten der Gehirnströme durch bestimmte Messinstrumente und -praktiken erkennbar sind - sind so doch noch nicht erklärt. Die Bedingungen psychedelischer Sinn-, Deutungs- und Verstehensweisen sind mit lediglichem Verweis auf neuronale Korrelate, die gewissermaßen inhaltsleer bleiben, keineswegs erfasst! Wenn psychedelische Erfahrung durch das Gehirn objektiviert sei, dann zeigt sich das Ideal des Erfahrungsbericht als eine weitere mögliche Quelle empirischer Erkenntnis - umgangssprachlich trip report genannt. Husserl deutete mit der Formulierung, dass "jede originär gebende Anschauung eine Rechtsquelle der Erkenntnis sei" eben darauf. Dies bedeutet die Notwendigkeit der Erforschung der Psychonauten in der psychedelischen Wissenschaft (siehe auch Kapitel 3 meiner B.-A.: "Zur Notwendigkeit qualitativer Forschung in psychedelischer Wissenschaft").


Die psychedelische Phänomenologie untersucht demnach im Allgemeinen die Bedingungen der Möglichkeiten psychedelischer Erfahrungen, die primär durch Konsum psychedelischer Substanzen und extra-pharmakologische Faktoren induziert wird (Hartogsohn 2016). Diese Untersuchung erfordert, die besondere Stellung von Psychonaut*Innen und psychedelischen Subjekte anzuerkennen, insbesondere ist zu erwarten, dass sich hier extra-pharmakologische Faktoren als relevant erweisen. Der Bezug zu subjektiven Qualitäten der Erfahrung, die das epistemische Primat des Erleben psychedelischer Subjekte ausmachen, muss wissenschaftlich berücksichtigt werden. Dies äußert sich nicht zuletzt darin, dass Patient*innen psychedelischer Therapien "den Bus selbst steuern", wie es Mathew Johnson pointiert ausformuliert.

Eine Gefahr besteht möglicherweise für psychedelische Subjekte gleichermaßen wie für alle üblichen Subjekte: ein totaler (Kultur-) Relativismus sowohl in Bezug auf Werte, als auch die Übereinkunft in Fragen der Realität - "postfaktisch" nennen manche das unsere Zeitalter. Auch in psychedelischen Angelegenheiten ist ein "ontologischer Agnostizismus" (für den Blume 2005: 47 in der Diskussion der Neurotheologie plädiert oder das Emergent Phenomenology Research Consortium, EPRC ihn vertritt) keineswegs erstrebenswert. Ein ontologischer Agnostizismus kann nur einen ontologischer Relativismus ausbilden. Die Absage an jede Möglichkeit des Wissens erscheint Metaphysik zum Okkultismus zu verschieben und verklären. Okkultismus sei jedoch trefflich als "Metaphysik für dumme Kerle" zu verstehen (Adorno's VI. These): "Im stumpf natürlichen Inhalt der übernatürlichen Botschaft verrät sich ihre Unwahrheit." Und wenngleich ich zustimme, dass darin die eine Unwahrheit liege, so denke ich ist dieser natürliche Inhalt "übernatürlicher Botschaft" sehr wohl imstande Wert zu tragen; ob die postulierte Übernatürlichkeit diesen jedoch ausmache, ist allerdings ohnehin fraglich.


Psychedelische Realität?

Die vielleicht schwierigste, und für viele Menschen naheliegende Frage ist diejenige nach der mutmaßlichen Wirklichkeit psychedelischer Erlebenisse und psychedelischer Effekte. Ich vermute, die Frage "sind psychedelische Erfahrungen real?" ist keine gute, sondern führt in die Irre. Nach Husserl ist der fundamentalste erkenntnistheoretische Unterschied derjenige zwischen dem Realen und dem Idealen und bezeugt so die Interdependenz der verschiedenen philosophischen Disziplinen. Doch ermahnt er ebenfalls, dass zu klarem Verständnis kommen müsse "was denn das Ideale in sich und in seinem Verhältnis zum Realen ist, wie das Ideale auf Reales bezogen, wie es ihm einwohnen und so zur Erkenntnis kommen kann" (Husserl/Held 1985: 93; meine Hervorh.) Statt zu eruieren 'wie real' psychedelische Ereignisse seien, muss vielmehr eine adäquate Kontextualisierung vorgenommen werden.


Eine analoge Frage stellt auch die "doppelte Wahrheit" unseres modernen Menschenbildes, das stets wissenschaftlich fundiert zu sein bestrebe, der Erkenntnis neuronaler Korrelate folgend (Liske 2004: 30; meine Hervorh.)


"[Jemensch] mag es für neurophysiologisch erwiesen ansehen, dass eine Entscheidung wie jeder Gehirnzustand durch einen voraufliegenden Zustand determiniert ist. Ein Ichbewusstsein von mir als frei entscheidendem Subjekt habe sich nur bilden können, weil unser episodisches Gedächtnis uns nicht erlaubt, dieser Determination gewahr zu sein. Dennoch empfindet [mensch] sich im lebensweltlichen Kontext als verantwortliches Subjekt seiner Handlungen. Wenn wir eine solche doppelte Wahrheit als absurd vermeiden wollen, brauchen wir nicht bloß relative, sondern absolute Kriterien [...]. Als einziges solches Kriterium kommt hier wohl in Frage, wie weit wir uns einem Erfassen der Wirklichkeit an sich angenähert haben."


Über psychedelische Ontologie

Hartogsohn (2020: 375) schreibt psychedelischen Substanzen eine intensiverte Ontologie zu: "The psychedelic experience is one of intensified ontology". Die von Hartogsohn angedeutete Intensivierung und Amplifikation, die er als "psychedelic core fundamental" behandelt, erlaubt die Interpretation psychedelische Zustände seien "realer, als real". Doch Ontologie, als Lehre des Seienden, betrifft nicht lediglich ihren Bezug zur Lebenswelt und alltäglicher Bewustseinszustände, sondern bedarf auch unabhängig der gesellschaftlichen Phänomens des Konsums psychedelischer Substanzen und anderer psychedelischer Praktiken der akademischen Philosophie.


Doch beweist wiederum unabhängig der akademischen Philosophie die Metaphysik bereits eine Dringlichkeit, weil bekannt ist, dass psychedelische Substanzen in der Lage sind Verstehensweisen von Realität zu beeinflussen (Nayak et al. 2022; Timmermann et al. 2021). Fisher (2019) stellt den Befund an, dass die psychedelische Kultur der 1960er Jahre sich bemerkenswert dadurch auszeichnete, metaphysische Fragestellungen in den Mainstream zu heben. Auch gilt es also, anzuerkennen, dass Metaphysik offenkundig ein psychedelisch-lebensweltliches Projekt darstelle, das psychedelische Erfahrung auszulösen imstande ist, sowie die vermutlich populäre Position einer kategorischer Ablehnung jeglicher Relevanz psychedelischer Erfahrungen in Fragen der Wirklichkeit kritisch zu betrachten; wichtigerweise ist die Gegenseite der lediglich ins logisch konträre springende Reaktanz, die psychedelische Zustände lediglich mit Hinweis auf ihre möglichen Erfahrungsweisen tatsächlich i.S.v. "realer, als real" verstehen will, als kognitive Verzerrung oder unzureichende Argumentation abzulehnen.


Die Phänomenologie zielt darauf ab "Antwort auf die Frage zu geben, welche Rolle die Subjektivität im Zustandekommen von Wirklichkeit spielt." (Raab et al. 2008: 11). Psychedelika können wegen ebenjener Subjektivität, die in der notwendig interozeptiven psychedelischen Erfahrung ihre Maxime wie auch mögliche Auflösung findet, und dadurch unbedingte Berücksichtigung erfordert, nicht lediglich onto-agnostisch - und damit einer relativistischen Realitätsauffassung folgend - gedacht, sondern müssen unter genuin ontologischen/metaphysischen Gesichtspunkten untersucht werden.


Psychedelische Aufklärung

Wie ein aufgeklärter Umgang mit psychedelischen Substanzen aussehen kann, etwa Bedingungen gesundheitsverträglichen Konsums, ist eine Frage, die derzeit auch in der pyschedelischen Wissenschaft unterbelichtet ist, für das Ideal des (drogen-) mündigen Subjekt jedoch unverzichtbar. Es gebietet sich auch der Herangehensweise der Schadensminimierung folgend, sich um Aufklärung zu bemühen, da der von Liske betonte "lebensweltliche Kontext als verantwortliches Subjekt" ebenfalls - mit aufrichtigem Blick auf die empirische Situation dieser Subjekte - unzweifelhaft die Konsumentscheidung beinhalten muss.


Vielen Dank fürs Lesen.

-affenkopf

 
 
 

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